MERz.Monstrum

Foto-Collage-Cutup-Roman von ögyr (Jörg Meyer)

„MERz.Monstrum“ entstand zwischen 1990 und 1993 in der (bewusst epigonalen) Tradition von DADA, der MERZ-Kunst von Kurt Schwitters sowie John Heartfields politischen Collagen – zunächst als noch „klassisch“ mit Schere und Klebstoff aus Fotomaterial von Illustrierten und Zeitungen montierte „Comic-Collage“. Parallel beziehungsweise als Vorläufer entstanden Cutup-Texte, die in die Collage eingearbeitet wurden.

1999 – noch in den Frühzeiten des Internet – entwickelte ögyr aus diesem „Comic“ einen vielfach zwischen Bild-, Video- und Text-Collage verlinkten Hypertext auf seiner Website schwungkunst.de. Mit diesem „cut.up.pic/dia.rrhoe.dub“ „MERz.Monstrum 2.1“ (www.schwungkunst.de/merz21) gewann ögyr im Dezember 2001 den mit 4.000 DM dotierten 1. Preis des vom damaligen kulturnetz-sh.de ausgeschriebenen Wettbewerbs für künstlerische Multimedia-Projekte.

ögyr vor den Originalcollagen aus „MERz.Monstrum“ (Foto: CK)

ögyr über Inhalt und Entstehung von „MERz.Monstrum“

In Wendezeiten, an persönlichen oder historischen Nahtstellen, stellen sich die Grundfragen des Seins und damit auch der Kunst vehement und unausweichlich. So auch mir, einem in den frühen 1980er Jahren kleinbildungsbürgerlich „links“ Sozialisierten aus dem geburtenstärksten Jahrgang 1964, mit verwandschaftlichen Wurzeln in der Ex-DDR und daher, (wie ich damals offensiv und provo-punkig behauptete) „meinem Vaterland“. Die alte, meine Jugend begleitende, relativ stabil erscheinende Ordnung des Kalten Krieges und zweier konkurrierender, aber ebenbürtiger Gesellschaftsentwürfe kollabierte am 9. November 1989 (ausgerechnet wieder der 9. November). Nach (zu langem) Physikstudium begann ich da gerade meine Diplomarbeit, verwirrt und zugleich „geteast“ von beidem (ich war in meiner Biografie an der Wende von der Naturwissenschaft zu Philologie, -sophie und Kunst). Wie auch von Wendezeiten vorher: 1916, vor gut 100 Jahren, als in Zürich DADA die Kunst revolutionierte, weil die Welt aus den Fugen war. Und nachher, als am 11.9.2001 (immer wieder die teuflische 9 und das Werthersche „nach Eilfe“ im Datum …) die sich turbokapitalistisch, imperialistisch globalisierende Welt von zu blindem Terror Verzweifelten aus den Angeln gehoben wurde.

Nahtstellen, an denen sich die uralten Fragen nach Gut vs. Böse stellen – nicht nur dem Künstler. Wenn Gesellschaften sich neu formieren, geht es immer auch um (alte und neue) Schuld, deren Verantwortung und Verarbeitung: 1918, 1945, 1977 („Deutscher Herbst“), 1989, 2001 – 2021? 1987, beim Geiseldrama von Gladbeck, verloren die so genannten Medien, für die ich damals gerade begonnen hatte zu arbeiten, ihre Unschuld. Die „Sensation“ von „Monstern“ wurde mir bewusst – und vielleicht schon da entstand der Plan für „MERz.Monstrum“. Als der „Rosa Riese“ in den Wendejahren als „Die Bestie von Beelitz“ durch die nicht blühenden, sondern menschlich verdorrenden Landschaften seine frauenmordende Spur zog, hatte ich den Stoff für den Comic-Roman: Wolfgang Schmidt heißt in „MERz.Monstrum“ Volker Merz.

Denn wir brauchen die Monstren, um uns vor dem eigenen Bösen in weichen Fernseh- oder Zeitungslesersesseln zu gruseln. Sie nehmen von uns die Schuld, indem wir sie zur Projektionsfläche unserer unbewussten Schuld machen – den Sündenbock zum Gärtner unserer Seelenkleingärten, abgegrenzt vom vorstädtischen, längst nicht mehr sicheren Jägerzaun.

Das von mir angezettelte und ge-cut-upte „Merz.Monstrum“ begleitet mich also seit über 30 Jahren durch mein Schaffen. Es kündet in all seiner und meiner eigenen Verworfen- und Verworrenheit von der verzweifelten Sehnsucht nach etwas Gutem im Menschen – nach Liebe, nach persönlicher und Welt-Revolution, sei es auch nur in der Kunst. Ab- oder Vorgesang einer Utopie?